SHT und dann?

Ein erfolgreiches Leben: Journalistin und Redakteurin in einer Österreichweiten Wochenzeitschrift, Trainerin einer Voltigiergruppe auf Wettkampfniveau, Klavierspielerin und ein großer Freundeskreis. So war der Alltag der damals noch jungen Sigrid Kundela bis zum 23. Juni 1992 vollkommen erfüllt.

An diesem Tag war sie in ihrem Auto bei der Heimfahrt vom Voltigiertraining, als sie frontal in ein auf ihrer Straßenseite ent gegenkommendes Auto knallte – der entgegenkommende schuldige Fahrer wollte mit 130 km/h seiner Freundin auf einer Strecke imponieren, wo die Geschwindigkeitsbeschränkung bei 60 km/h lag.
Die Folge war ein zertrümmertes Gesicht, dass in kieferchirurgischer Feinarbeit in einer sechsstündigen Operation mit 10 Plättchen und 42 Schrauben versorgt und wiederhergestellt werden musste. Dazu kamen die Verletzungen des Gehirns, durch die das Leben und die Bewegung neu erlernt werden mussten. Selbst die einfachsten alltäglichen Handgriffe, wie Waschen und Anziehen stellten in der Folge eine Herausforderung.

Aber nicht nur, dass das neu Leben verglichen zum Leben davor eine trostlose Situation darstellte, es kam noch dazu, dass ein Großteil des erarbeiteten Wissens an der Universität gelöscht war. Somit waren die letzten Jahre des Studiums und damit auch die fast vollendete Dissertation unwiderruflich verloren. Depression und Rückzug waren ebensolche Folgen wie Isolation und Einsamkeit. Das betraf nicht nur die Patientin, sondern auch deren Familienkreis.

Zu Beginn war es ihr nicht möglich die Veränderung und den neuen Zustand zu verstehen, Flucht aus dem Krankenhaus, langwierige Diskussionen mit dem betreuenden Personal und den Eltern waren die Folge. Erst nach vielen Monaten und Jahren konnte das organische Psychosyndrom, entstanden aus den Verletzungen des Gehirns und der, ab da veränderten Sichtweise der Dinge, langsam überwunden werden.

Nur auf Grund der Tatsache, dass Sigrid Kundela schon vor dem Geschehen mit einem eisernen Willen und einer unverwüstliche Fröhlichkeit begabt war, konnten diese Zeit des Zweifelns und Haderns, der unbegründeten Selbstvorwürfe und der ständigen Traurigkeit überwunden werden. Dabei war auch das Glück behilflich ein paar wenige, treue Freunde zu haben, die sie nicht verlassen hatten und die immer noch zur Seite stehen.

Die Trauerarbeit, das verlorene, reiche Leben betreffend, war durch das Psychosyndrom noch erschwert und das Potential der Depression verstärkt. Dadurch wurde die Möglichkeit einer Neuorientierung und Wiedereingliederung erschwert. Zu Beginn wurde vor lauter Verwirrung über die neue Situation und die neuen Emotionen die Kommunikation auf Englisch gewählt. Erst nach und nach stellte sich dann eine Vertrautheit im Umgang mit dem neuen Leben ein.

Als die massive Belastung durch die Anpassung an das neu Leben über großen persönlichen Einsatz der jungen Frau und mit Hilfe ihrer Familie etwas reduziert war, begann sie ein Buch zu schreiben, um ihre Erfahrungen darzulegen und um ihre Situation besser verarbeiten zu können. Im Anschluss daran gründete Sie eine Selbsthilfegruppe um sich und anderen durch regen Erfahrungsaustausch zu helfen die Situation danach erleichtern zu können.

Weiterhin sind ausgeprägte Defizite bei der Konzentration, dem Gehen und dem Sehen vorhanden. Trotzdem kann sich die Journalistin verwirklichen, indem sie eine Zeitung für Menschen nach eine SHT und alle Interessenten herausgibt. Persönlichkeit, viel Arbeit und die optimale familiäre Unterstützung haben eine gute Rehabilitation und Integration ermöglicht.

Vor dem Hintergrund eines positiv abgeschlossenen Rechtsverfahrens waren die Verarbeitung und der Zugang zur Schuldfrage fern von Selbstvorwürfen und somit vor weiterer Erschwernis der Neuanpassung. Fehlen diese drei Voraussetzungen, bedingt durch die persönliche Situation vor und nach dem SHT, die familiäre Zusammensetzung oder die finanzielle, legale bzw. versicherungstechnische Situation nach einem SHT, dann ist ein solcher Verlauf selten zu erwarten und Komplikationen unvermeidlich.

Dies kann verhindert werden, indem die Betroffenen und deren Angehörige unterstützt werden. Leider fehlt es weiterhin am allgemeinen Verständnis für die Situation nach einem SHT. Das betrifft nicht nur die medizinische Versorgung und Rehabilitation sondern auch das soziale Umfeld.

Ein SHT kann jeden von uns in jeder Situation treffen. Und ab diesem Moment sind wir behindert und von Menschen abhängig, die nicht wissen, wie es ist im Leben danach. Sie wissen nicht wie schwer es ist, sich emotionell zu orientieren und meist niemanden zu haben, mit dem man richtig reden kann – wie es ist alleine zu sein, sich schlecht bewegen zu können und von vielen als mühsam angesehen werden. Von eigentlich zuständigen Versicherungen nicht unterstützt und als unwürdiger Bittsteller behandelt zu werden.

In den nächsten Minuten – beim Rausgehen auf den Gang, beim Herauskommen aus dem Haus oder Überqueren der Straße zum Auto und am Heimweg kann einem das passieren, was man sich jetzt nicht vorstellen kann. Und dann gibt es im ungünstigen Fall keine Familie, die für einen die Unterstützung stellt, wie sie unsere Journalistin bekommen hatte. Statistisch wahrscheinlicher ist es, da das Gesundheitssystem die Traumatisierten wenig unterstützt, dass die Familie auseinander bricht, man alleine ist und die Kinder nur selten bis gar nicht mehr zu Besuch kommen – und hier beginnt die Arbeit der SHG-SHT.